Sebastian Cichocki
Die Installationen von Danuta Karsten entstehen als Antwort auf die Architektur eines Raumes, sie füllen ihr Inneres mit geometrischen und anthropomorphen Gebilden, deren Eigenschaften für den Zuschauer bis zuletzt unerkannt bleiben. Elemente wie synthetisches „Haar" und geschnittene, ineinander verflochtene Folienstreifen berühren die Decke, umschlingen die Wände, schlängeln sich auf dem Boden.
Mit ihrer Hilfe kreiert die Künstlerin Zeichnungen und dreidimensionale Objekte - „luftschwebende" Strukturen, die die räumliche Orientierung stören und den Zuschauer zwischen fragilen Ornamenten balancieren lassen. Auf eine stille, subtile Weise schwellen die von Danuta Karsten benutzten Materialien an und bilden seltsame Anhäufungen und Formationen. Der Charakter dieser Kunst erinnert an komplizierte chemische und biologische Vorgänge, an das ständige Wachsen und die Entropie - eine Entsprechung der Situation in der Kunstgalerie, in der ein verworrener Prozess angehalten und einer detaillierten Analyse unterzogen wird. Die Zeit, die ein wesentlicher Rohstoff der Karsten-Installationen ist, materialisiert sich und wird zum Stillstand gebracht Beispielsweise wurde in dem von der Künstlerin für die Danziger Galerie Koło geschaffenen Werk (ohne Titel, 1998) Wasserglas benutzt, das gewollte - in ihrer Natur fast organische - Transformationen durchmachte. Ein Metallrahmen hielt gläserne Linsen, die auf den Boden heruntertropften. Das finale Aussehen dieser Arbeit war unbestimmt, sie zerfiel, indem sie gleichzeitig in neue, unerwartete Formationen aus klebrig-schleimigen Membranen überging. Dies war eine Realisirung, die statt der traditionellen Beschau eine Nachschau erforderte. Danuta Karsten hat die Eigenschaften des Wasserglases auch in ihrer monumentalen Installation für das Museum Ostdeutsche Galerie in Regensburg genutzt (ohne Titel, 1998). Damals war eine zusätzliche Decke entstanden - eine Schicht gläserner, trüber Linsen, deren regelmäßige Anordnung bei gleichzeitig „individuellem" Charakter eines jeden Bestandteiles an Insektenkolonien oder an eine Honigwabe erinnern konnte. Diese biologische Eigenart der Werke Danuta Karsten zeigte sich besonders deutlich in der für das Nationalmuseum Gdańsk geschaffenen Installation (Ausstellung „Spektrum", 1999), bei der einfache, mit Luft gefüllte Foliensäcke verwendet wurden. Das die amöbenähnliche Struktur durchdringende Licht wurde trübe und streute sich, wodurch die Illusion einer Unterwasserkolonie von primitiven Organismen entstand. Der Biologmismus dieser Kunst geht über formelle Ähnlichkeiten der entstehenden Gebilde mit der Natur (ein Spinngewebe, eine Muschel oder Meeresblumen) sowie über die künstlerische Produktion hinaus. Bei Danuta Karsten ist dies mehr eine Frage von Disziplin und Konsequenz als von spontaner Entscheidung - man könnte sagen, ihre Werke wachsen beständig, statt produziert zu werden.
Außer biologischen Konnotationen kommen in der Kunst von Danuta Karsten architektonische Strukturen vor. Das Zustandekommen ihrer Werke im konkreten Raum einer Galerie unterstreicht den still gewordenen, kontemplativen, von den Befürwortern seiner institutionellen Autonomie angenommenen Charakter des weißen Würfels(white cube). Die Installationen veranschaulichen den Charakter von scheinbar neutralen Wänden und Fußböden und fokussieren die Aufmerksamkeit gleichzeitig auf das Fehlen beziehungsweise die Leere, von der sie erfüllt sind. Indem sie konsequent einen Dialog mit dem Raum (oder dem Sakralraum) eingeht, konzentriert sie sich auf das Exponieren des „weißen Kleides" (white dress) der zeitgenössischen Architektur. Mark Wigley[1] schrieb, die Architektur sei unzertrennlich mit der psychosexuellen Ökonomie der Mode verbunden. Das Weiß, das die
Wände deckt, sei nicht neutral, so dass moderne Gebäude nie nackt seien. Sie blieben in weiße Kleider umhüllt, unter denen sich natürliche Fakturen und Verfärbungen der
Stoffe verbärgen. Danuta Karstens Verwirklichung „Kleider" im Stadtmuseum Hattingen (2001) scheint die reine Exemplifikation dieser Theorie zu sein - einem Frauenkleid ähnliche Strukturen, die von der Decke herunterfließen, veranschaulichen die verwaschenen Vorstellungen der „Wurzelstöcke" der Architektur. Insbesondere eines der Installationselemente, das aus weißer Folie hergestellt ist, erweckt den Anschein, als wäre es ein integraler Teil der Decke, ihre absurde Abzweigung. So erhalten neutrale Innenräume eine Sensualität, so wird ihr steriler Charakter durch Rätsel und optische Fallen entschärft. Der Galerieraum ist also nicht verpackt oder mit Installationen gefüllt, sondern neu abgeschrieben, wie ein in zwei Exemplaren vorliegender Text, der jeweils von der Eigenart der Handschrift bestimmt ist. Ein Beispiel dafür kann die Verwirklichung für die Städtische Galerie Remscheid („Ohne Titel", 1998) sein, wo Danuta Karsten mit Hilfe von Textilgummi einen Raumumriss innerhalb des Raumes erschuf, indem sie einen Teil dieses Raumes für den Zuschauer aussonderte und einen flüchtigen „Schatten" des ursprünglichen Inneren zum Vorschein brachte. Durch diese Maßnahmen entstehen mesmerische Materialkonzentrationen, pulsierende Kreise und szenische Anhäufungen. Im Prinzip ändert sich da wenig, und trotzdem unterliegt die Wahrnehmung eines schon bekannten Raumes einer Metamorphose. Ein multipliziertes Objekt banaler Herkunft wird Teil onirischer Landschaften, in denen das menschliche Auge wandert und sich Vorstellungen von größeren Strukturen bildet. Danuta Karsten entstellt die vorgefundene räumliche Ordnung durch rätselhafte Eingriffe, die in sich absurd sind und einem ästhetischen Überbau bilden. Zu solchen Verwirklichungen gehört die bei der Galerie m Bochum erbaute Treppe („Traum/Trappe",1999): Sie dringt nicht durch die Decke hindurch, sie bleibt darin „stecken". Eine eigenwillige Verneinung der architektonischen Funktionalität, eine Falle für die Vorstellungskraft des Zuschauers. Der Einsatz von allgemein zugänglichen Materialien, Folien- oder Textilresten, lässt Zusammenhänge erkennen zwischen der Intimität des privaten Bereiches und dem öffentlichem Institutionsraum, wo die emotionale Zerstreuung prinzipiell auf ein Minimum reduziert ist. Durch Widerholung und Anhäufung identischer Objekte zitiert die Künstlerin das Alltägliche sowie das Gewöhnliche und glorifiziert, ja salbt sie gleichzeitig. Danuta Karsten verleiht ihren (spektakulären, und trotzdem bescheidenen) Werken einen Rhythmus, der an den hypnotischen Zyklus von Hausarbeiten erinnert. So wird die modernistische Sehnsucht nach dem weißen Würfel zum persönlichen, gefühlsvollen Pflegen des „weißen Kleides", von dem die Architektur umhüllt ist.
[1] Mark Wigley, White Walls, Designer Dresses: The Fashioning of Modern Architecture, MIT 2001
Sebastian Cichocki (1975) ist Programmdirektor der Kronika, eines Zentrums für gegenwärtige Kunst in Bytom, Oberschlesien. Er schreibt u. a. für die Zeitschriften Magazyn Sztuki (Kunstmagazin), Obieg (Umlauf), Opcje (Optionen), Artmargins und Czas Kultury (Kulturzeit).