Pressetext: Danuta Karsten | FRAGILE
Ein Kirchenraum ist ein Raum religiöser Transzendenz. Hier hat das Nicht-Sichtbare seinen Ort. Dieser in die Höhe sich erstreckende Leerraum ist zugleich ein Negativraum, der auch bildhauerisch eine Funktion bekommen kann. Die gesamte Geschichte der plastischen Kunst ist geprägt vom Umgang mit der Leere, die durch den plastischen Körper verdrängt wird, der in sie ein- und hinausgreift, sie schließlich in sich aufsaugt und sie umschließt.
Selten aber wird dieser Raum in seiner Monumentalität zur sinnlichen Anschauung ge-bracht, also wirklich materiell sichtbar gemacht, die unsichtbare Leere in die Sichtbarkeit gehoben.
Dies gelingt Danuta Karsten, ohne den Raum zugleich zu ersetzen oder zu verdrängen. Er bleibt als offener, transparenter Raum erhalten. Er ist groß aber nicht massiv, er ist spürbar aber nicht verdrängend, er ist vorhanden und zugleich im Verschwinden begriffen. Er ist mehr Erscheinung, als unverrückbares Raumbild. Er ist, im Gegensatz zum materiellen Bestand der Raumhülle, flüchtig und temporär. Aber dieser Kirchenraum ist ja nicht wirklich leer. Er ist von Licht erfüllt, das gleichsam haptisch spürbar wird. Diese Wirkung ist schon in der historischen Architektur angelegt. Diese Wirkung zu verstärken und zu akzentuieren, ist die Idee von Danuta Karsten.
Ein neuer und sphärischer Raumeindruck wird damit in Wismar erlebbar. Der monumentale Innenraum der über 730 Jahre alten St.-Georgen-Kirche wird durch ein Kunstprojekt von Danuta Karsten in ein neues Licht getaucht. Recyclte, lange flache Plastikstreifen sind mit phosphoreszierenden kleinen Elementen besetzt, die durch das von außen einfallende Licht eine besondere Verbindung mit dem Sakralbau eingehen. Die traditionelle Verbindung von Kirche und Kunst wird temporär - ohne christliche Symbolik - einfühlsam in Szene gesetzt.
Vielmehr knüpft sie an das Vorkommen von Algen an, die Biolumineszenz besitzen. Aufgrund der Klimaveränderung gibt es das Phänomen des Leuchtens schon in der Lübecker Bucht.
Die 1963 in Mala Stonca bei Danzig in Polen geborene Künstlerin begann ihre Ausbildung 1983 an der Staatlichen Hochschule der Bildenden Künste in Danzig im Bereich Bildhauerei. 1986 erfolgte ein Wechsel an die Kunstakademie in Düsseldorf, wo sie u. a. bei Prof. Günther Uecker studierte.
Die vielfach ausgezeichnete Künstlerin ist seit 1993 freischaffend tätig. Seitdem hat sie Rauminstallation nicht nur in Kirchen sondern auch für Schlösser, Museen und Galerien entwickelt. In langen Vorarbeiten entstehen immer ortsbezogene künstlerische Interventionen mit unterschiedlichen Materialien.
Kurator: Prof. Dr. Ferdinand Ullrich